Was kann mit dieser Überschrift wohl gemeint sein? Es trifft auf so ziemlich vieles im Leben zu, wenn man Scheitern als Start zu einem neuen Versuch auffasst und aus dem Geschehenen Lehren zieht. Somit ist Scheitern nie ein Scheitern, sondern ein Lernprozess.
Das habe ich in den vergangenen Wochen in meiner Klasse erlebt: Der Klassenrat, den ich schon seit Jahren als wertvolles Medium verwende, um Schüler:innen an ihrem Schulalltag partizipieren zu lassen, ist ein „harter Brocken“. Er kann unheimlich nervenaufreibend sowohl für die Lehrkraft als auch für die Schüler:innen sein. Es geht drunter und drüber, alle schreien sich an, kaum einer beteiligt sich, die Regelwächter:innen werden ignoriert oder halten sich selbst nicht an die Regeln – alles schon erlebt und dies sind bekannte Herausforderungen. Immer wieder sagen mir Kolleg:innen, der Klassenrat funktioniere nicht, sei zu schwer für die Kinder, dann nehme man die Verantwortung doch wieder an sich und regele alles lehrer:innenzentriert. Ich habe mal wieder die Erfahrung gemacht, dass demokratisches Handeln ein langer Lernprozess ist. Geduld und die Akzeptanz darüber, dass solches Handeln – wie im Übrigen jedes Lernen- ein Lernprozess ist, hilft dieses vermeintliche Scheitern einer Klasse beim Klassenrat abzufedern. Etliche Reflexionen am Ende eines jeden Klassenrates, darüber was gut lief, was nervte etc., zeigen auf jeden Fall auf, dass Kinder Optimierungsbedarfe sehen. Und was soll ich sagen: Als ich auch dachte, es ginge in der Klasse auf ewig drunter und drüber im Klassenrat, setzte plötzlich der Lernprozess sichtbar ein. Die Klasse überlegte sich, wie man konkret nun mit den Störungen umgehen sollte. Der Vorschlag war außergewöhnlich für mich, denn es zeigte sich ein absoluter Teamgedanke zwischen Schüler:innen und mir als Lehrkraft: Die Regelwächter:innen werden nach den Eigenschaften „unbestechlich und selbstbewusst und ehrlich“ gewählt, dürfen störende Personen umsetzen, was als erste Verwarnung gilt. Wenn dann immer noch keine Ruhe einkehre, dürfe die Lehrkraft mit dem Hinweis der Regelwächter:innen die Störenden in den Trainingsraum* schicken (nicht, weil die Lehrkraft es entscheide…) Ehrlicherweise rechnete ich mit dem Ausnutzen des Vorschlags und ich müsse diskutieren, ob ein Ratsmitglied wirklich in den Trainingsraum gehen solle. Ich saß gebannt im Klassenrat.
Wie es ausging? Seit diesem Beschluss der Schüler:innen läuft der Klassenrat wie geschmiert. Ich sitze als Ratsmitglied im Stuhlkreis und bisher wurden nur einzelne verwarnt. Gestern musste ich tatsächlich zwei in den Trainingsraum schicken, nachdem auch die Verwarnung nichts geholfen hatte. Sie gingen ohne Widerworte. Ich denke, es sind mehrere Dinge, die die Klasse dazu bewegt hat, den Klassenrat in aller Ernsthaftigkeit durchzuführen:
- Das viele Scheitern und darüber sprechen, als sei es ok, zu scheitern und Wege zu suchen, um etwas zu verbessern.
- Die Offenheit, es immer wieder zu probieren mit eigenen Schülerideen, bis eine Lösung gefunden wird. So erleben die Schüler:innen absolute Selbstwirksamkeit.
- Die Rolle der Lehrkraft, die sich als Teammitglied sieht und begleitet und moderiert, sich selbst zurücknimmt.
Es macht mich einfach stolz, solche langwierigen Prozesse zu begleiten und sie dann in ihrer Auswirkung zu sehen.
Traut euch (zu), Schüler:innen scheitern zu lassen – und sie dann auch bei ihrem Lernprozess danach zu begleiten.
Eure Melissa
*Trainingsraum: Der Trainingsraum ist ein Klassenzimmer oder eigens eingerichteter Raum für diejenigen Schülerinnen und Schüler, die im Unterricht stören und sich nicht an die geltenden Regeln halten wollen oder können. Zusammen mit einer geschulten Lehrkraft wird über das Verhalten und das Bedürfnis dahinter nachgedacht und alternative Verhaltensweisen überlegt.